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Tuesday, July 03, 2007
Carpe Diem - Kommentar zu Goethes wiederaufgetauchter Dissertationsschrift
Nach 30 Jahren im Schultresor eines Düsseldorfer Gymnasiums ist jetzt die Doktorarbeit Goethes wieder aufgetaucht, so nachzulesen bei der Tagesschau des Schweizer Fernsehens. More Semantic!... startete im September 2005 mit einem Artikel über Goethes 'famous last words', daher jetzt auch dieser Artikel zu Goethes Doktorarbeit. Johann Wolfgang von Goethe schloss 1771 sein Jura-Studium in Straßburg mit einer 12-seitigen (!) Dissertationsschrift ab und promovierte damit zum Doktor der Rechte. Natürlich möchte ich damit auch allen Doktoranden (einmal abgesehen von Medizinern...das ist eigenes Thema) Mut zusprechen, dass es nicht unbedingt notwendig ist, hunderte von Seiten für die Dissertationsschrift zu schwärzen. Bestimmt ist die Kürze der Goethe'schen Arbeit auch den Umständen der Zeit geschuldet. Wer kann heute noch mit einer zwölfseitigen Abhandlung promovieren -- vielleicht ein genialer Mathematiker, der es fertig bringt, einen unerhörten Beweis in dieser Kürze vollständig zu beschreiben (...auch wenn man dazu wahrscheinlich einen zweiten Fermat bräuchte). Für meinen Fachbereich (Informatik) zumindest kann ich konstatieren, dass 100 Seiten keine Seltenheit, sondern wohl eher die Regel sind. Einzige Ausnahme vielleicht die theoretische Informatik, die auch schon mal mit weniger Seiten auskommt.
Nun besteht in Deutschland zumindest immer noch die Notwendigkeit, für eine akademische Karriere im Anschluss an die Dissertation noch die Habilitation zu erlangen (auch wenn vielerorts schon beteuert wurde, dass man diese abzuschaffen gedenke und mit der 'Juniorprofessur' einen alternativen Weg eröffnen wollte....die Praxis in vielen Berufungskommissionen überzeugt zumindest derzeit noch vom Gegenteil). Worauf ich aber hinaus möchte betrifft den Umfang dieser Arbeit. Ich sah vor einigen Tagen die Habilitationsschrift eines Kollegen aus der Philosophie -- und die erweckte eher (vom Umfang her besehen) den Eindruck eines in festen Einbanddeckeln gebundenen, überdimensionalen Quelle-Katalogs (auch wenn man mir beteuerte, dass läge nur daran, dass die Arbeit 'einseitig' ausgedruckt worden wäre...
Nun, meiner Meinung nach besteht die Kunst des Verfassens einer wissenschaftlichen Arbeit auch darin, sich möglichst knapp und präzise auszudrücken, dabei seinen Standpunkt klar zu machen und diesen zu diskutieren (ich bin kein Philosoph und möchte daher auch die Qualität der o.a. Habilitationsschrift in keiner Weise mindern, da ich diese nicht beurteilen kann). Goethe ist dies allem Anschein nach (...ich habe seine Arbeit nicht gelesen, zumal sie dem Titel 'Profundis iuris' nach anscheinend in Latein abgefasst zu sein scheint) gelungen....auch wenn sein späteres Werk nicht unbedingt durch 'Kürze' glänzt ;-)
Natürlich möchte niemand den Eindruck erwecken, die eigene wissenschaftliche Arbeit sei aufgrund der Knappheit ihrer Abfassung am Ende gar 'leichtgewichtig'. Aber wenn ich eine Arbeit korrigieren muss, schrecke ich vor den voluminösen Ausarbeitungen eher zurück...schließlich verlangt solch ein Werk ja ganz gelesen (und verstanden) zu werden. Redundanz (im positiven Sinn) dient der Vereinfachung und besseren (einfacheren) Lesbarkeit. Etwas Redundanz muss sein -- auch in wissenschaftlichen Arbeiten, denn sonst würde das Lesen und Verstehen noch anstrengender werden. Auf der anderen Seite sollte sich die Redundanz aber mit dem wesentlichen Inhalt die Waage halten.
Also daher an alle Diplomanden und Doktoranden mein Aufruf: Carpe diem! ('Nutze den Tag' bzw. im übertragenen Sinne 'fasse dich kurz'). Ich befürchte, kaum einer der dieses Blog liest kann sich noch an diesen vom römischen Kommödiendichter Horaz geklauten Werbespruch der Post (heute Telekom) erinnern, der an den damals noch sehr zahlreichen Telefonzellen klebte....