Tuesday, April 24, 2007

Marina Lewycka - Die kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch


Ich bin jetzt schon zwei Bücher im Rückstand, was meine Rezensionen angeht...und bevor ich noch vergesse, was ich zu diesem Buch schreiben wollte, wird es jetzt höchste Zeit....
Wann bin ich zum ersten mal auf das Werk gestoßen? Ich glaube, es war in der S-Bahn (S7) vom Berliner Hauptbahnhof nach Potsdam im vergangenen September. Ich las meine ZEIT und mir fiel dieses Buch mit dem interessanten Cover mit dem "Kartoffeldruck-Traktor" (oder doch eher sozialistisches Propagandaplakat?) auf, das eine Frau mir gegenüber gerade interessiert las. Und dann natürlich der Titel "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch"...Als erstes musste ich an "Eine kurze Geschichte der Zeit" und meine eigene "kurze Geschichte des Internets" (im WWW-Buch) denken, aber der Zweifel, worum es sich bei diesem Buch wohl handeln könnte, lies mir keine Ruhe mehr. Wieder zu Hause in Weimar beim nächsten Besuch der Buchhandlung (ja, auch ich nehme Bücher noch gerne in die Hand, blättere darin und lese an irgendeiner beliebigen Stelle quer....ich brauche einfach dieses 'haptische Erlebnis'...) las ich mir dann den Klappentext durch, der irgendwie alles andere versprach, als ich mir eigentlich vorgestellt hatte....

"Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" ist eigentlich Nikolais Projekt, in das er sich flüchtet, als alles den Bach hinunterzugehen droht. Nikolai stammt aus der Ukraine und ist nach dem Krieg mit seiner Familie nach England und in ein besseres Leben ausgewandert. Jetzt ist hat sich der 84-jährige Wittwer in den Kopf gesetzt, eine gut 50 Jahre jüngere blonde ukrainische "Sexbombe" aus ihrem Elend heraus aus der postkommunistischen, von Korruption und Unsicherheit geprägten Ukraine durch Heirat zu "erretten". Klar, dass das seinen beiden Töchtern -- der "Trozkistin" Nadja und ihrem Upper-Class Ggenstück Vera -- nicht gefallen wird. Beide hatten sich über das Erbe der Mutter zerstritten und reden nun schon seit Jahren kein Wort mehr miteinander. "Valentina" heißt der gemeinsame Feind und das personifizierte Übel, das es auszutreiben gilt, ....und Nikolai macht auch noch seine letzten Ersparnisse flüssig, um seinem "Täubchen" noch eine Brustvergrößerung zu spendieren.
Soweit, so gut. Wenn es jetzt immer so weiter ginge, hätte Marina Lewycka nichts weiter geschrieben als eine seichte Einwandererkommödie. Aber in Rückblenden wird immer wieder in ein Blick in die Familiengeschichte Nikolais geworfen und damit auch in die zeitgeschichtliche Ukraine: Stalin und der stalinistische Terror, die von ihm herbeigeführte Hungersnot, mit der er sich die Ukrainer gefügsam machen wollte, der zweite Weltkrieg, die Deutschen....
Zwischendurch aber wird es dann wieder bizarr: Valentinas trashiger "Luxus-Geschmack", Nikolais "Toshiba-Äpfel" (Nein, das ist keine neue wohlschmeckende japanische Apfelsortenzucht, sondern der Name hängt mit dem Hersteller von Nikolais Mikrowelle zusammen...), Nikolais (altersbedingte) Probleme mit seiner körpereigenen "Hydraulik", der Versuch der beiden Schwestern Valentinas Einbürgerung mit allen Mitteln zu unterminieren, der an der Unzulänglichkeit der britischen Behörden scheitert. Am Ende bleibt Nikolai auf alle Fälle seine "Geschichte des Traktors auf Ukrainisch", die ebenfalls mit einigen Skurilitäten aufwarten kann und auf ungeahnte Weise ihren Weg in die Ukraine nimmt....
Insgesamt ein schönes und lesenswertes Buch. Die beschriebenen Situationen geraten mitunter reichlich bizarr (schon wieder...). Die Vorstellungen und Wünsche zweier Einwanderergenerationen könnten unterschiedlicher nicht sein. Um den Kreis wieder zu schließen, für mich ein ideales Buch um die Fahrt in der S-Bahn (S1 Zehlendorf -> S7 Potsdam) etwas kurzweiliger zu gestalten....