So weit so gut... das hat ja noch nichts mit Verschlüsselung zu tun. Fabrizios Freunde außerhalb der Festung hecken einen Fluchtplan aus und müssen daher mit ihm unerkannt kommunizieren. Dies gelingt ihnen nachts mit Hilfe von Lichtzeichen - also wieder 'optische Telegrafie', die allerdings verschlüsselt werden muss, damit niemand hinter ihre Pläne kommt. In der ersten, noch unverschlüsselten Version, entspricht dabei jeder Buchstabe einer Leuchtzeichenfolge entsprechend seiner Position im Alphabet, also 'a' einmal leuchten, 'b' zweimal leuchten, usw.
Für die eigentliche Verschlüsselung wird Fabrizio ein Brief in seine Zelle geschmuggelt. Allerdings enthält dieser nicht nur den Fluchtplan im Klartext sondern auch noch den vollständigen Schlüssel (für eine einfache Substitutionschiffre) für die zukünftige Lichtzeichenkommunikation. Der Schlüssel alleine wäre doch schon gefährlich genug gewesen. Ich frage mich, wenn schon der Fluchtplan im Detail mitgeteilt wird, wozu braucht es dann noch einen Schlüssel. Würde der Brief kompromitiert werden, wäre alles verloren...
Allerdings klärt uns der Anhang des Buches darüber auf, dass Stendhal in seiner Funktion als französischer Konsul von Civitavecchia ein ähnlicher Lapsus im Zuge seiner Amtsgeschäfte unterlaufen wäre. In einem verschlüsselten Brief an den französischen Außenminister fügte er 1835 im Klartext noch den kompletten Schlüssel hinzu und schickte beide Nachrichten gemeinsam in einem Brief. Das ist ein absoluter Anfängerfehler und Stendhal wurde völlig zurecht dafür offiziell vom Außenminister gerügt.
Schön ist die Episode aber als literarisches Kryptografiebeispiel, das ich gerne auch in einer meiner Vorlesungen aufgreifen werde. Neben Edgar Allan Poes 'Goldkäfer' und Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes Episode 'Das Musgrave Ritual', ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Kryptografie, um die Spannung in einem Roman zu erhöhen.