Was haben der französische Autor Henri Beyle aka
Stendhal und Kryptografie miteinander zu tun, wird sich der geneigte Leser fragen. Die Antwort darauf liegt in Stendhals großen Roman 'Die Kartause von Parma', die ich dieses Jahr als Urlaubslektüre ausgewählt hatte (
und hier im biblionomicon rezensiert habe). Darin geht es um den jungen Helden Fabrizio, der aufgrund eines unbeabsichtigten Duells mit Todesfolge in die berüchtigte Zitadelle von Parma gesteckt wird, aus der noch nie jemand entfliehen konnte. Sie erhebt sich als gewaltiger Turm, der Engelsburg in Rom nachempfunden, auf deren Plateau sich Fabrizios Gefängniszelle befindet. Fabrizio liebt Clelia, die Tochter des kommandierenden Generals der Festung, und kommuniziert mit ihr via 'optischer Telegrafie'. Dies allerdings auf denkbar einfachste Weise, indem Seiten aus einem Buch mit jeweils einem großen Buchstaben des Alphabets versehen werden und diese nacheinander an einem Fenster präsentiert werden.
So weit so gut... das hat ja noch nichts mit Verschlüsselung zu tun. Fabrizios Freunde außerhalb der Festung hecken einen Fluchtplan aus und müssen daher mit ihm unerkannt kommunizieren. Dies gelingt ihnen nachts mit Hilfe von Lichtzeichen - also wieder 'optische Telegrafie', die allerdings verschlüsselt werden muss, damit niemand hinter ihre Pläne kommt. In der ersten, noch unverschlüsselten Version, entspricht dabei jeder Buchstabe einer Leuchtzeichenfolge entsprechend seiner Position im Alphabet, also 'a' einmal leuchten, 'b' zweimal leuchten, usw.
Für die eigentliche Verschlüsselung wird Fabrizio ein Brief in seine Zelle geschmuggelt. Allerdings enthält dieser nicht nur den Fluchtplan im Klartext sondern auch noch den vollständigen Schlüssel (für eine
einfache Substitutionschiffre) für die zukünftige Lichtzeichenkommunikation. Der Schlüssel alleine wäre doch schon gefährlich genug gewesen. Ich frage mich, wenn schon der Fluchtplan im Detail mitgeteilt wird, wozu braucht es dann noch einen Schlüssel. Würde der Brief kompromitiert werden, wäre alles verloren...
Allerdings klärt uns der Anhang des Buches darüber auf, dass Stendhal in seiner Funktion als französischer Konsul von Civitavecchia ein ähnlicher Lapsus im Zuge seiner Amtsgeschäfte unterlaufen wäre. In einem verschlüsselten Brief an den französischen Außenminister fügte er 1835 im Klartext noch den kompletten Schlüssel hinzu und schickte beide Nachrichten gemeinsam in einem Brief. Das ist ein absoluter Anfängerfehler und Stendhal wurde völlig zurecht dafür offiziell vom Außenminister gerügt.
Schön ist die Episode aber als literarisches Kryptografiebeispiel, das ich gerne auch in einer meiner Vorlesungen aufgreifen werde. Neben
Edgar Allan Poes '
Goldkäfer' und
Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes Episode '
Das Musgrave Ritual', ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Kryptografie, um die Spannung in einem Roman zu erhöhen.